02.02.22 zurück

Weltbekannt und hautnah – Im Gespräch mit Alberto Venzago

Gekonnt bewegt sich der preisgekrönte Magnum Fotograf und Filmemacher Alberto Venzago mit seiner Kamera zwischen den Welten: zwischen Reportage und Werbung, Dokumentation und Inszenierung. Seine Fotografien sind Bilder, die einen Moment festhalten und doch als Aussagen über ein ganzes Zeitalter verstanden werden können. In Zeiten der fortlaufenden Bilderflut, sind solch einzelne, bewegende Fotografien seltener und vertrauter zugleich geworden. Und das ist wohl eine der Besonderheiten, die Venzago’s Bildsprache ausmachen. Bei manchen Bildern erscheint die Darstellung der Wirklichkeit wie eine Inszenierung. Bei manchen kommt man den abgebildeten Personen so nah, als wären die Begegnungen real. Seit mehr als fünfzig Jahren dokumentiert der Zürcher das Weltgeschehen mit bewegenden Fotoessays und Reportagen, und inszeniert als Werbefotograf weltbekannte Stars in durchkomponierte Bildwelten. Und erst kürzlich zeigte das Museum für Gestaltung mit «Taking Pictures – Making Pictures» erstmals eine Retrospektive seines langjährigen Schaffens. Wir haben uns mit dem 72-jährigen Fotografen virtuell unterhalten. Sein Credo? Hautnah und der Wahrheit verpflichtet. Das alles mit einer grossen Leichtigkeit. Und er ist noch immer hungrig nach guten Bildern und Geschichten.
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Alberto, du gehörst du den grossen Schweizer Fotografen. Was ist deine Philosophie?

Das zentrale Thema ist die Einstellung. Ich meine nicht die Korrelation zwischen Blende und Zeit, sondern die innere Einstellung als Fotograf. Wo stehe ich? Was bin ich bereit zu geben? Habe ich die Kraft, beide Seiten eines Konfliktes zu besuchen und ihnen eine Bühne zu geben? Bin ich bestechlich? Ist Karriere wichtiger, als das richtige Bild? Mich irritierte die Aussage in den 70ern: «C’est pas une image juste-c’est juste une image». Das reicht einfach nicht, das ist reine Kapitulation! Es ist meine Verpflichtung, nach bestem Gewissen diesen Job auszuüben. Es ist mehr als ein Beruf; es ist eine Berufung.

Blicken wir zurück: Was war deine erste Begegnung mit dem Medium?

Ich bin in einer künstlerisch aktiven Familie aufgewachsen: mein italienischer Vater war Architekt und Musiker, meine Mutter stammte aus einer deutschen Schauspiel- und Künstlerfamilie. Das Mantra meines Vaters war: «Keine Existenzängste! Du hast Talente geerbt, das macht dich stark. Aber du musst sie nutzen! Hast du nichts mehr, hast du immer noch die Kreativität, das ist dein grösstes Kapital.»

Gemeinsam mit Vater und Bruder waren wir als musikalisches Trio ziemlich erfolgreich. Nach einem Motorradunfall musste ich früh das Klarinettenspiel aufgeben – das vorzeitige Ende meiner Musikerlaufbahn. Ich sehe es als Glücksfall. Mein Bruder ist heute Dirigent und der kreative Chef   Ich würde wohl im Orchestergraben sitzen. Mit der Fotografie begann ich bereits davor, mit 15 Jahren. David Hamilton oder Sam Haskins waren meine Idole. Ich hatte ein kleines Labor und war überwältigt von der Magie der Dunkelkammer. Ich erlebte die Macht der Kamera. Sie wurde mein Türöffner in eine Welt, die ich nur ansatzweise erahnte, geschweige denn kannte.

In welche Welt ging es dann?

Mein erster Auftraggeber war POP, das Schweizer Jugend- und Musikmagazin der 60er und 70er Jahren. Als Allrounder lieferte ich Fotos und die Stories dazu. Das Leben unterwegs mit Pink Floyd, Led Zeppelin, den Stones war ein Traum. Mit der Zeit wurde ich ernsthafter, engagierter und realisierte, dass Fotografie mehr als ein Hobby sein kann. Ich entdeckte den internationalen Bildjournalismus, und wollte Kriegsfotograf werden, wie mein damaliges Idol Robert Capa. Mein neues Leben als Concerned Photographer begann.

Mehr als die Action interessierte mich aber das Leid der Betroffenen. Ich war fasziniert vom Iran. Über diese für uns fremde Revolution existierten nur einseitige Geschichten. Ich wollte eine Bildstrecke aus der Sicht der Betroffenen und nicht der westlichen Medien fotografieren. Die Iran Reportage war prägend. Hier habe ich zum ersten Mal eine eigene Handschrift gesehen. Die Reportage wurde weltweit publiziert. Ich gewann den ICP Infinity Award (Robert Capa) und wurde dadurch von Magnum nominiert.

Magnum war der entscheidende Schritt. Auf einmal war die Welt mehr als nur der entscheidende Augenblick von Cartier Bresson. Ich logierte in der Dachkammer und sass mit einem Vergrösserungsglas nächtelang in der Rue des Grand Augustins im Magnum Archiv und habe alle Kontaktabzüge des Kollektivs studiert. Das war mein Studium. In jener Zeit entstanden auch einige Freundschaften: René Burri wurde mein Pate.

Gegenpol zu den Reportagen bilden deine glamourösen Bildwelten, die weltbekannte Stars und Marken in Szene setzen. Was inspirierte dich dazu, dich diesen beiden Genres – Reportage und Werbung – zu widmen?

Es klingt nach Gegensätzlichkeit, muss es aber nicht. Durch die Werbefotografie habe ich gelernt, präziser zu schauen. Die Geschichte auf den Punkt bringen, eine Botschaft zu vermitteln. Werbung, die Fake ist, entlarvt sich sofort. Sie berührt nicht. Ob ein Bild inszeniert ist, wie das ONE Projekt zusammen mit meiner Partnerin Julia Fokina, oder echt ist, hat für mich keine Bedeutung. Wichtig ist, an ein Projekt zu glauben. Klar existieren immer mal Zweifel, aber das gehört zum Prozess. Zudem brauchte ich die Werbefotografie: Sie finanzierte alle meine aufwendigen und kostspieligen Langzeitreportagen!

Und letztlich mag ich das Arbeiten mit Stars. In kürzester Zeit kreativ zu sein. Aus Nichts etwas machen. Ein grauenvolles Hotelzimmer in drei Minuten in ein Studio umzuwandeln. Licht setzen. Stars zu Menschen formen. Zugänglich machen, menschlich machen. Und natürlich das Adrenalin wirken lassen,einen Menschen kennenlernen, den ich bis anhin nur oberflächlich aus Magazinen kannte. Ich bin zum Glück etwas älter, das macht es einfacher. Ich liebe es, mit Musikern zusammen zu arbeiten. Das hat wohl mit meiner Biografie zu tun. Da bin ich schnell auf gleicher Augenhöhe.

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

Ich denke zuerst mal an die Technik: eine Kamera, ein Objektiv, im Idealfall ein 35mm. Keep it simple! Schwarz-Weiss. Nah dran. Oft etwas verwackelt oder mit gewisser Unschärfe. Hartes Licht. Schlagschatten. Und noch einmal: Nah dran. Beeinflusst werde ich jeden Tag durch Ausstellungen, Magazine, Freunde, Social Media. Und ganz wichtig: mir treu bleiben. Mein Credo? Nah dran und der Wahrheit verpflichtet! Und alles mit einer grossen Leichtigkeit.

Auffallend an deinem Œuvre ist auch deine einprägsame Ästhetik in Schwarz-Weiss. Welche Bedeutung haben für dich SW-Bilder?

Ich persönlich mag schwarz-weisse Bilder sehr. Sie sind verdichteter, abstrakter, vielleicht sogar wahrer. Für mich sind sie Realtät. Farbe ist mehr dokumentarisch. Aber schlussendlich geht es nicht um Farbe oder nicht, es geht um gute Bilder, die die Zeit überstehen.

Stichwort Zeit: was ist dein wiederkehrendes Thema oder Anliegen in deinem Schaffen über all die Jahre?

Das wiederkehrende Element ist eine gute Geschichte zu erzählen, die wahr ist, die packt und politisch eine gewisse Relevanz hat. Meistens handelt es sich bei mir um Rituale in verschiedenen Kulturen. Sei es bei den Yakuzas bei ihren Aufnahmezeremonien oder bei den Voodoonsi in Westafrika. Das ist das richtige Leben. Ja, ich glaube an die Macht der Bilder. Die Kraft, etwas zu verändern. Wie meine Reportage über die philippinischen Kinderprostituierten. Die Publikation hat eine Gesetzänderung bewirkt Das ist Kraft.

Werfen wir einen Blick nach vorn. Was ist deine Vision für die Zukunft der Fotografie?

In der heutigen Zeit – von Smartphone und Social Media – ist die Fotografie komplett demokratisiert. Wir haben unzählige Möglichkeiten, Bilder zu publizieren. Das ist etwas Grossartiges. Das hilft auch der professionellen Fotografie, um sich abzuheben, indem sie Fotografie auf eine neues Level hievt. Fotografie hat die Chance, zwischen den Ebenen zu fotografieren. Und das geschieht vor allem über die persönliche Wahrnehmung des einzelnen Fotografen. Das bedingt natürlich auch ein bestimmtes technisches Verständnis. Meiner Meinung nach muss die Fotografie auch einen künstlerischen Anspruch befriedigen. Die Kamera ist nur das Tool dazu.

Welche Rolle werden und sollten Fotograf:innen in der Fotografie der Zukunft spielen?

Es gibt die Unterhalter, die Künstler und die engagierten Bilderhersteller, die die Welt verändern, die mit ihrer Kunst etwas bewegen wollen. Im Idealfall sehe ich alle drei Personen in einer.

Ein nächstes Projekt?

Erst kürzlich haben wir die Ausstellung im Museum für Gestaltung abgebaut. Nach 2 Jahren Vorbereitung und 7 Monaten Ausstellungsdauer mit über 26’000 Besuchenden gönne ich mir nun erstmal eine kleine Auszeit. Ich werde mit meiner Familie, Julia und den drei Kindern in die USA fliegen und dort in Texas und Colorado reiten gehen. Western Style! Wir sagen uns immer: Wir fahren in die Ferien! Zurück kommen wir immer mit einer Foto-oder Kurz-Filmgeschichte, von der wir bei Beginn der Reise noch keine Ahnung hatten. Ich liebe diese Überraschungen. Ich bin ja erst 72.

Mehr zu Alberto Venzago

© Still aus dem Dokumentarfilm über die Voodoo-Priester in Westafrika. Courtesy: Alberto Venzago.
© Vater mit drei Söhnen auf der Flucht im Süden Irans, 1980er Jahre. Courtesy: Alberto Venzago.
© Blick aus dem Zug während der Revolution im Iran, 1980er Jahre. Courtesy: Alberto Venzago.
© Drei Mitglieder der Yakuza sichern eine Kreuzung. Japan 1988. Courtesy: Alberto Venzago.
© H.R. Giger in seinem Haus in Oerlikon bei Zürich. Courtesy: Alberto Venzago
© Klub Kaufleuten, Zürich 1995. Courtesy: Alberto Venzago.
© Mit den Rolling Stones auf Tournee, 1983. Courtesy: Alberto Venzago
© Andy, New York 1984. Courtesy: Alberto Venzago.
© Plakatwand von Tibor Kalman und Scott Stowell, New York 1993. Courtesy: Alberto Venzago.
© Rütlischiessen, 1984 Schweiz. Courtesy: Alberto Venzago.

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