Rafael, unter dem Titel THE UNSEEN hast du dich der Beziehung zwischen einer spezifischen Landschaft und der Welt der Fotografie und Kunst gewidmet. Was ist das Thema deiner fotografischen Arbeit?
Es scheint ein geheimes Leben in den Bäumen zu geben, unsichtbar, komplex und faszinierend, das wir Menschen erst jetzt zu verstehen beginnen. Früher dachten wir, Wälder seien nichts weiter als eine Ansammlung von lebenden Pflanzen, die um Licht und Nährstoffe konkurrieren. Heute wissen wir, dass die wahre Natur des Waldes weitgehend unsichtbar bleibt. Wälder scheinen komplexe Gemeinschaften von Lebewesen zu sein, die stark miteinander verbunden sind und über das Mykorrhiza-Netzwerk von Pilzen kommunizieren. Aber was die Wissenschaft noch nicht beantwortet hat, ist noch faszinierender und zugleich beunruhigend: Kann der Wald seine Abwesenheit spüren, wenn ein Baum gefällt wird? Dieses Projekt ist eine Hommage an die gefallenen Bäume. Für die kurze Dauer der Belichtung wird die unterbrochene Verbindung des Waldnetzes wiederhergestellt. Um diese Wiederverbindung visuell darzustellen, habe ich eine Reihe von Lichtern auf den Baumstümpfen platziert, als ob sie die Seele der gefällten Bäume symbolisieren würden. Wenn der Wald von dem strahlenden Licht erhellt wird, scheint es, als ob die umliegenden Bäume auf den fehlenden Baum blicken, ein Dialog wird wiederhergestellt.
Was ist im Kontext deiner Arbeit unsichtbar, was machst du sichtbar?
Wir Menschen neigen dazu zu vergessen, dass die Erfahrungen, die wir in dieser Welt machen, stark begrenzt und verzerrt sind. Im Laufe unserer Zivilisation haben wir uns von der natürlichen Umwelt in künstliche Blasen aus Beton, Asphalt und Stahl verlagert und aufgehört, die Welt zu betrachten. Ohne uns dessen bewusst zu sein, leben wir völlig losgelöst von der Welt, die uns umgibt.
In meinen Fotoprojekten möchte ich Türen zu diesen realen Dimensionen öffnen, die in Vergessenheit geraten sind, und lade die Betrachtenden ein, innezuhalten, genauer und tiefer zu schauen, zu denken und zu fühlen. Mit meinen Bildern versuche ich nicht, Antworten zu geben, sondern lade dazu ein, sich Fragen zu stellen, die sonst ignoriert werden und Verwunderung und Neugierde über die Geheimnisse der Existenz, des Lebens, der Zeit, des Raums, der Erinnerungen zu wecken.
Bei diesem Projekt ging es darum, sich auf die vielen Aspekte zu konzentrieren, die unsichtbar bleiben. Mein Anliegen war es, die komplexe natürliche Verbindung, die im Wald zwischen den Bäumen besteht, hervorzuheben. Aber sie bezieht sich auch auf die Idee der Spur und der Abwesenheit, das universelle Gesetz der Vergänglichkeit, das in den meisten meiner Arbeiten wiederkehrt. Die Objekte der Bilder sind Bäume, die nicht mehr sind.
Schliesslich zeigt das Projekt auch eine vertraute Umgebung unter ungewohnten Umständen. Dieser Wald ist ein beliebter Ort, an dem viele Menschen tagsüber spazieren gehen. Nachts jedoch verwandelt sich der Wald vollkommen, Tiere streifen frei umher, die menschliche Präsenz verschwindet ganz. Während der Arbeit an diesem Projekt verbrachte ich Stunden in der tiefen Stille der Nacht, die nur durch die Geräusche von Eulen, Rehen, Füchsen, Wieseln und Mäusen unterbrochen wurde, die manchmal nur wenige Meter von mir entfernt waren. Ich vermute, dass sie mich nach ein paar Monaten Arbeit dort als ein weiteres Mitglied der Nachtschicht akzeptiert haben.