Letzten September fand in Albanien die Produktion der Discovery Week statt. Mit dabei waren die Profifotografen und Hauptdarsteller Jens Krauer, Martin Mägli und Remo Buess, die sich unter Anleitung des jeweiligen Genre-Experten verschiedenen fotografischen Challenges stellten. Was dabei herauskam? Das erfährst Du bald. Aber zuerst wollen wir Dir den Experten für Urban Landscape und Leader der ersten Challenge, Jens Krauer, vorstellen.
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Jens war 14 Jahre alt, als er zum ersten Mal mit der Fotografie in Berührung kam. Aber erst 2011, während einer Geschäftsreise in die Ukraine, wurde sein Feuer für die Fotografie endgültig entfacht. Zwei Jahre lang verschlang er alles, was er über Fotografie und Streetfotografie finden konnte, bevor er sich bewusst von allen äusseren Einflüssen löste und seinen eigenen Stil entwickelte. Nach und nach wuchs er in seine neue Rolle als Künstler hinein, während er sich mehr und mehr von der Dynamik der Geschäftswelt entfremdete. Und so kam es, dass er – ein Mann, der sein Leben nach seinen Werten lebt –im Jahr 2015 schliesslich seinen Job kündigte, um sich ganz der Fotografie zu widmen. Und das nicht ohne Erfolg: Seit 2016 ist er offizieller FUJIFILM-Fotograf; seine Bilder, die die Strassen von New York, Kiew, Istanbul und vielen anderen Städten zeigen, wurden bereits in zahlreichen Ausstellungen in Europa und Teilen der USA gezeigt; er hat in Podcasts und auf Festivals wie dem Miami Street Photography Festival gesprochen und er gibt regelmässig Workshops und Seminare. Während der Discovery Week haben wir die Gelegenheit genutzt, um mehr über seine persönliche Geschichte und seine Herangehensweise an die Streetfotografie zu erfahren.
Im Jahr 2015 hast Du Deinen Managerjob gekündigt, um Dich ganz der Fotografie zu widmen. Wie kam es zu dieser Entscheidung, die eine doch eher radikale Änderung Deines Lebensstils mit sich brachte?
Ich wusste immer, dass diese Entscheidung eines Tages kommen würde. Obwohl ich, objektiv gesehen, ein grossartiges Leben führte, extreme finanzielle Sicherheit und materiellen Wohlstand genoss, war ich weit davon entfernt, wirklich glücklich zu sein. Als mir das klar wurde, wusste ich, dass es Zeit war, zu gehen. Ich komme aus einem Hip-Hop- und Graffiti-Background und war schon immer ein kreativer Mensch. Mit der Fotografie ging ich also nicht wirklich an einen anderen Ort hin, sondern kehrte vielmehr dorthin zurück, wo ich hergekommen war – mit dem einzigen Unterschied, dass mein Rucksack jetzt mit Kameras statt mit Spraydosen gefüllt ist.
«Alles, was wir bewusst ignorieren, muss gezeigt werden.» Jens Krauer
Streetfotografie ist Dein Spezialgebiet. Was fasziniert Dich an diesem Genre und was motiviert Dich, jeden Tag rauszugehen und Vollgas zu geben?
Ich hatte schon immer eine grosse Affinität für die Strasse und dafür, mich dem auszusetzen, was draussen passiert. Bereits in meiner Jugend waren meine Freunde und ich ständig unterwegs, manchmal nächtelang. Als wir aufwuchsen, waren wir mit vielen schwierigen Umständen konfrontiert und es gab eine Zeit, in der ich selbst auf der Strasse lebte. Ich weiss also, wie das ist. Mit meiner Kamera rauszugehen, irgendwohin zu gehen, wo ich mich auskenne, und Fotos zu machen, finde ich spannend und wichtig, denn ich glaube, das wahre Leben spielt sich nicht dort ab, wo es warm und gemütlich ist. Wenn du wissen willst, wie wir als Ganzes funktionieren, dann musst du dorthin schauen, wo wir nicht hinschauen wollen. Dann siehst du, was wir versuchen zu ignorieren, und das ist doch ein ziemlich grosser Teil unserer Gesellschaft.
Warum findest Du es wichtig, dass man diese Teile sieht, bzw. zeigt?
Ich denke, alles, was wir bewusst ignorieren, muss gezeigt werden. In unserem Alltag sind wir relativ gut darin, Dinge schönzureden, Realitäten zu konstruieren oder sie ganz zu ignorieren. Aber wenn du die Welt in ihrer Gesamtheit betrachten willst, kannst du nicht nur auf das schauen, was dir gefällt, sondern dann gehört alles dazu – auch das, was du lieber ignorieren würdest. Dorthin zu gehen, wo die Menschen weniger bereit sind, hinzuschauen und diese Orte zu fotografieren, halte ich für wichtig, denn sie sind genauso ein Teil unserer Realität und verdienen es, dokumentiert zu werden.
JENS KRAUER
Go-To Fotoausrüstung:
Als Streetfotograf musst Du in der Lage sein, Dich Deinen Motiven auszusetzen, um ihnen so nahe wie möglich zu kommen. Das kann für viele schnell unangenehm werden. Wie gehst Du damit um?
Streetfotografie hat viel mit Ethik, Moral und Selbstreflexion zu tun. Die Frage lautet immer: Warum fotografierst du? Wenn du diese Frage schlüssig und moralisch sauber beantworten kannst, hast du so oder so einen guten Grund, auf der Strasse zu agieren. Wenn du dein «Warum» kennst und eine reine Absicht gegenüber den Menschen hast, die du fotografierst, verschwindet die Angst oder das Gefühl, etwas Falsches zu tun, relativ schnell und du kannst auch mal eine Konfrontation in Kauf nehmen. Ein schlechtes Gewissen ist fast immer ein Indikator dafür, dass dir die Klarheit über deine Motivation fehlt. Wenn du diese Frage also nicht beantworten kannst, musst du mit dir selbst ins Gericht gehen.
Worin siehst Du deine Mission als Streetfotograf?
Meine Mission ist es, zu zeigen, was «ist» und «das Echte» so gut wie möglich einzufangen. Egal, ob es sich um ein Modelshooting, eine Strassenaufnahme oder eine Dokumentation handelt, ich nehme, was sich mir präsentiert, ohne in das Geschehen einzugreifen, es zu manipulieren oder zu urteilen. Am Ende erzählen wir immer eine Geschichte und ich glaube, dass echte Geschichten einen anderen Wert für die Zukunft haben als solche, die inszeniert sind.
Eindrücke aus dem Streetfotografie-Tag der Discovery Week
Wenn Du sagst, dass Du das nimmst, was sich Dir präsentiert, könnte man leicht annehmen, dass Deine Fotografie «spontan und ohne Planung» geschieht. Du verbringst jedoch manchmal Tage, wenn nicht Wochen oder Monate in Städten, um die Gegend kennenzulernen und die perfekte Aufnahme zu «finden». Wie muss man sich die Vorbereitungsphase eines Streetfotografen vorstellen?
Kein Reiseziel und kein Bild ist ein Zufall. Schon bevor ich an einen Ort reise, verbringe ich viel Zeit damit, ihn gründlich zu erkunden. Das heisst, ich will wissen, welches Potenzial für gute Bilder besteht, welche Tageszeiten geeignet sind, inwieweit die Menschen offen für die Fotografie sind und ob die Art der Fotografie, die ich dort machen kann, mit meinem Stil vereinbar ist. Ich bleibe gerne 1-3 Monate am Stück an einem Ort, denn so kann ich eine Gegend wirklich kennenlernen, ein Verständnis für ihre Dynamik entwickeln und Vertrauen und Beziehungen zu den Menschen aufbauen. Das ist wichtig, denn nur wenn die Menschen dich akzeptieren und dich nicht mehr als Fremdkörper wahrnehmen, hast du Zugang zu Situationen und Aspekten, die sonst nicht offensichtlich sind. Die Vorbereitungsphase ist also ein langer Prozess, der viel Zeit, Geduld und Engagement erfordert. Die Belohnung sind authentische Bilder und das Gefühl, an vielen Orten zu Hause zu sein – eines der wertvollsten Dinge, die mir die Streetfotografie gibt.
Welchen Effekt erhoffst Du mit Deinen Bildern in den Betrachter:innen zu erzeugen?
Ich glaube nicht, dass es in meiner Macht liegt, einen bestimmten Effekt zu erzeugen. Mir ist es jedoch wichtig, mit meinen Bildern echte Interessen und Emotionen auszulösen. Ich hoffe, die Menschen damit an Dinge zu erinnern, die sie vielleicht nicht mehr so präsent haben und sie so zum Nachdenken zu bringen. Wobei das nicht immer etwas Negatives sein muss – die Strassen sind voll von schönen oder lustigen Momenten. Wie die Bilder wahrgenommen und interpretiert werden, hängt letztendlich immer von den Betrachter:innen ab.
Du hast Dir das Fotografieren selbst beigebracht. Welche drei Ratschläge hättest Du gerne gehabt, als Du angefangen hast?
Deale mit dem Scheitern. 99,9 % Deiner Bilder sind schlecht – auch meine, ich zeige euch einfach nur 0,1 %. Akzeptiere das und mach trotzdem weiter, denn es sind die 0,1 %, die zählen.
Lerne Deine Kamera in- und auswendig kennen, damit Du das Fotografieren in Deinen Alltag integrieren und schnell und diskret fotografieren kannst.
Betrachte die Welt aus einer kompositorischen und aus einer Storytelling-Perspektive und finde den Moment, in dem beides zusammenfällt, dann wirst du gute Bilder haben.
Nebst der Streetfotografie bist Du auch zunehmend im Dokumentar-/Journal-Bereich tätig. Kannst du uns einen kleinen Einblick in deine Pläne für 2023 geben?
Einerseits werde ich sicherlich wieder ein paar Monate in Städten verbringen und Strassen fotografieren. Andererseits hoffe ich, dass ich dieses Jahr einige offene Projekte abschliessen kann. Die Rückkehr nach Kiew oder in die Ostukraine steht ganz oben auf der Liste, ist aber im Moment etwas ambivalent. Auch eine Dokumentation in New York, die wegen der Pandemie unterbrochen wurde, steht im Fokus. Der Schwerpunkt wird also weiterhin auf der Streetfotografie und der Arbeit an Geschichten liegen, die einen echten, zeitgenössischen Bezug haben.
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