Schriftkundig ist jene Person, welche sich mit der Schrift und der damit verbundenen Sprache aktiv auseinandersetzt. Indem wir sie verstehen und beherrschen, geben wir ihr Charakter. Folgen wir der Prämisse von Walter Benjamin, sollten wir auch die Fotografie und wie wir mit ihr umgehen reflektieren um ihrer kundig zu werden und vor allem zu bleiben. Ansonsten verkommen wir zu Lakaien der Foto-Technik. Ich möchte mich an dieser Stelle spezifisch dem Format, dem Seitenverhältnis widmen.
„We live in a world saturated with screens, images and objects, all demanding that we look at them.“ Nicholas Mirzoeff
In welchem Format wir Bilder antreffen, ist in stetigem Wandel. Im Zeitalter von Screens, sei es an Bahnhöfen oder in den Handys vor unseren Augen, diktieren gewisse Formate, wie wir die Welt sehen. Heute ist es wahrscheinlich, dass wir bei jedem swipe 1:1, 9:16 oder 4:5 antreffen. Aber muss das sein? Scheinbar machtlos dem Diktat von Algorithmen und Messwerten zur Visibilität untergeordnet wird dieses Angebot gar nicht hinterfragt. Die User müssen mitziehen, um gesehen zu werden. Gelangweilt von dieser Einöde habe ich mich auf meinem Balkantrip dazu entschieden die Welt in 65:24 zu sehen.
1998 feierte dieses Format mit der Fujifilm TX1 bzw. der Hasselblad XPAN seine Geburtsstunde. Wer mehr wissen will, einfach mal den Artikel von Jonas Rask lesen https://jonasraskphotography.com/2019/06/17/fujifilm-tx-1-the-original-xpan/.
In der Fotografie geht es um eine Reihe von Entscheidungen welche man als Fotograf/in zu treffen hat. Welche Kamera? Welches Objektiv? Welche Verschlusszeit? Welcher Winkel? Welche Tageszeit? Die Frage des Formates wird dabei oft erst am Schluss gestellt oder wenn sie wie z.B. im Werbezirkus vorab zu definieren ist, dann bitte so, dass wir bis zum Schluss alle Möglichkeiten offen haben. Von 16:9 bis 9:16 sollte am besten alles funktionieren. Und eine solch passive Herangehensweise ohne Überzeugung scheint mir mit ein Grund dafür, dass wir die tägliche Bilderflut oft als eine generische erleben. Die „Generation Maybe“ und ihr wirken auf unsere Bildwelt.
„Photography has little to do with the things you see and everything to do with the way you see them.“ Elliot Erwitt
Den Entscheid schon bei dem Blick durch den Sucher 65:24 zu sehen hat einen massgeblichenen Einfluss auf das „HOW“ und sträubt sich so sehr gegen unsere aktuellen Konsumgewohnheiten von visuellen Inhalten, dass man sich beim Fotografieren von dem Reproduzieren von Sehgewohnheiten entfernt und neue persönliche Erfahrungen machen kann. Diese Art Fotografie, sie im Moment zu erleben, hat mich auf meinem Trip durch Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kroatien begleitet. Es war eine Entscheidung. Das Format war Scheuklappe und Horizonterweiterung zu gleich. Klar sind mir eine Menge Motive entgangen, aber jene die ich neu sehen konnte, möchte ich nicht missen. Das “End-Format“ einer Fotografie ist eine Charaktereigenschaft der darin stattfindenden Botschaften. Diese scheint aktuell der technokratische Diktatur unserer digitalen Lebenswelt unterworfen zu sein. 1998 war der Aufruf „For a world less square“. Und heute? „Don‘t be a Maybe?“ Uh, gabs doch schon, oder? Ah, kontrovers. Ich schau mal in meinen Kontakten nach einem guten Copywriter. Bis dahin: Beweise Charakter und Persönlichkeit, oder ganz einfach: Format.
Frank Whites beschriebener „Overview-Effekt“ mit etwas kleinerem Portemonnaie als Bezos & Co. wäre das. – Wir scheinen ihn zu brauchen. „Errare humanum est“ – Und so hoffe ich doch, dass ich mich irre.
Autor & Fotograf: Pascal Duschletta @dushutter
Colorist: Jürgen Kupka @unserefarben
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