14.07.22 zurück

FEMALE VIEWS – Edition mit Johanna Hullár

Wir freuen uns, die in Zürich lebende Fotokünstlerin als Protagonistin unserer fünften Ausgabe von FEMALE VIEWS anzukündigen – ein von uns initiiertes Programm, das zum Ziel hat, talentierten Schweizer Fotografinnen und Fotokünstlerinnen eine Bühne zu geben.
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Johanna Hullár

Geboren 1989 in Budapest, hat Johanna Hullár zunächst in Ungarn Fotografie studiert. Das Werk ‘If I Could Only Be Sure’ entstand als Abschlussarbeit ihres Masterstudiums 2020 an der Ecole cantonale d’art de Lausanne ECAL, wurde mit dem Hochschulpreis ausgezeichnet und seither mehrfach ausgestellt, darunter erst gerade an den Swiss Design Awards, für den sie 2022 nominiert wurde. Unter dem Titel ‘Burning Desires’ setzte sich die Fotografin auf visuell poetische Art und Weise mit Träumen und Vorstellungen auseinander. Das Resultat ist eine Serie an Bildern und Videos, die alltägliche Objekte zu surrealen Hauptakteur:innen werden lässt und durch hochästhetische, teils von der Fotografie entfremdete Bildkompositionen das Genre Stilllife von Grund auf neu denken.


Johanna, wie bist du zur Fotografie gekommen?
Was war deine erste Begegnung?

Seit meiner Kindheit zeichnete ich, töpferte, verbrachte die Sommer in Grafik-Camps oder besuchte Fotografie-Workshops. Meine Mutter hat das Kreative stark gefördert. Als Vorschule für die Kunstschule besuchte ich das Kunstgymnasium in Ungarn, wo ich aufwuchs und wo ich jeden Samstag zusätzlichen Fachunterricht in Fotografie, Kunstgeschichte und Zeichnen hatte. Fotografie fand jeden Tag statt. Ich lernte Fotografie auf eine sehr klassische Art und Weise. Dieses Verständnis für Bildkomposition und Licht ist heute meine Grundlage, so dass ich mit jedem Gerät, mit jeder Situation umgehen kann. Es war immer klar, dass ich damit weitermachen wollte.

Wie fandest du dann zu deinem eigenen Stil?

Also habe ich in Ungarn ein Bachelor-Studium der Fotografie begonnen. Dort war ich allerdings fast zu künstlerisch unterwegs, da der Studiengang stark praxisorientiert und technisch ausgerichtet war. Nach einem Auslandssemester in Dänemark zog ich nach Berlin, wo ich an der Technischen Hochschule ein Bachelorstudium in Kommunikationsdesign absolvierte, wo ich meine künstlerische Einstellung verstärkt in einem technischen und designorientierten Kontext anwenden konnte. Von dort begann ich,  mich näher zu meiner eigenen Ästhetik heranzutasten: die Mischung aus filmischer Fotografie und Stills ist bis heute ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit. In Zürich professionalisierte ich das Handwerk als Assistentin, arbeitete fast 3 Jahre bei annabelle im Studio und konnte wertvolle Erfahrungen in der Produktion von Modestrecken und Stillleben sammeln. Von der Mode zog es mich mehr und mehr in die Still Life Welt, bis ich mich 2018 für den Master an der ECAL bewarb, um mich hauptsächlich auf Stills zu konzentrieren. Den MA schloss ich 2020 mit der mehrfach ausgestellten Arbeit ‹If I Could Only Be Sure› ab.

Wie würdest du deine Ästhetik und Praxis beschreiben?

Storytelling durch Fotografie. Ich interessiere mich für Filme, die sehr fotografisch wirken, aber nichts mit Kino im traditionellen Sinne zu tun haben. Alle meine Videoinstallationen basieren in ihrer Ästhetik eindeutig auf Bildideen. Ich nenne diese Art der Fotografie auch erweiterte Fotografie. In dieser Hinsicht hat mich die ECAL in meinen konzeptuellen und künstlerischen Visionen gefördert und unterstützt, und neue technische Tools wie CGI, VR, und materielle Fotografie an die Hand gegeben. Bei Stillleben geht es oft darum, etwas zu verkaufen – ein visueller Code, womit in der Werbung und in der künstlerischen Arbeit gearbeitet wird. Diese Auseinandersetzung und Reflexion des Genres Stillleben mit all seinen Metaphern und Bedeutungen fasziniert mich. Mein Ziel ist es, meine eigene Sprache und Symbolik zu entwickeln, um meine Botschaft zu gestalten.

«Bei Stillleben geht es oft darum, etwas zu verkaufen – ein visuelles Verständnis, womit in der Werbung und in der künstlerischen Arbeit gearbeitet wird. Diese Auseinandersetzung und Reflexion des Genres Stillleben mit all seinen Metaphern und Bedeutungen fasziniert mich. Mein Ziel ist es, meine eigene Sprache und Symbolik zu entwickeln, um meine Botschaft zu gestalten.»
Johanna Hullár

Gibt es visuelle Vorbilder, an denen sich dein Schaffen orientiert?

Sicherlich gab es super viele Inputs während des Masterstudiums an der ECAL. Auch die Arbeiten der Künstlerin Pippilotti Rist waren immer wichtig: der Videoinstallation den Raum zu geben, einen visuellen Raum zu schaffen, den Akt des Augenblicks. Viele Fotograf:innen zielen stark auf einen Moment ab. Ich hingegen interessiere mich für die Prozesse dazwischen, denn Fotografie ist immer ein Moment, aber sie geht auch weiter. Dementsprechend gibt es in meiner Arbeit viele Wiederholungen, ein fortlaufender Prozess.

Ein für dich exemplarisches Projekt?

Die 7-minütige Videoinstallation ‹If I Could Only Be Sure› stellt für mich im Moment eine der innigste und ehrlichste, Arbeit dar, die ich nicht mehr verändern würde. Sie darf für sich stehen, wie sie ist. Da ich eine Perfektionistin bin, sind kreative Prozesse oft sehr lange und fortlaufend. Man wird mit einer Idee schwanger, beschäftigt sich im Inneren damit, reift sie aus.

Doch irgendwann muss man die Arbeit loslassen und zu Ende bringen können! Die Arbeit ist inspiriert von der menschlichen Fähigkeit zur emotionalen Transformation, zur Metamorphose, da wir Menschen uns in unserem Leben ständig verändern. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Lauf der Dinge, dem Kreislauf des Lebens, und um den Wunsch, die Zeit zurückdrehen zu können. Das Video ist dafür ein sehr geeignetes Format, denn anstatt die Zeit zurückzudrehen, wie es im wirklichen Leben der Fall ist, wo die Zeit nicht zurückgedreht werden kann, beginnt das Video immer wieder von vorne, in einer Endlosschleife.

Unter dem Titel ‘Burning Desires’ hast du die fünfte Edition der FEMALE VIEWS umgesetzt.
Was ist das Thema dieser Arbeit, und was betrachen wir?

‘Burning Desires’ basiert, wie alle meine Werke, auf einer persönlichen Erfahrung oder Beobachtung, die ich künstlerisch reflektieren möchte. Es geht immer darum, Emotionen zu transportieren. Das anfänglich vorgegebene Thema ‘Träume’ fand ich schwierig, weil es so viel und gleichzeitig so wenig zulässt. Aber mit der Zeit fand ich es auch irgendwie hilfreich. Träume beruhen nicht auf dem Träumen im Schlaf, sondern auf unseren Vorstellungen und Wünschen. Diese Arbeit handelt von solchen Träumen und Sehnsüchten, die manchmal aber auch eine Utopie bleiben, in Form eines kreativen Zerstörungsprozesses im Feuer aufgehen, um dann zu etwas Neuem zu werden. Oft finden wir erst durch solche Erfahrungen unseren wahren Weg. Für mich ist ‘Burning Desires’ daher eine Arbeit, die für alle lesbar ist, weil sie unverfälscht ist.

Wie in allen meinen Arbeiten sehen wir eine fast poetische Collage aus Alltagsgegenständen, die auf den ersten Blick visuell ansprechend und konsumierbar erscheinen. Aber sie enden auch im Chaos, denn dieser schöpferische Prozess der Zerstörung – wie die Gefühle, die aufkommen, wenn wir erkennen, dass ein Traum nicht in Erfüllung gehen wird – sorgt dafür, dass sie sich in einem ständigen Prozess der Veränderung und im Angesicht von gegensätzlichen Elementen wie Feuer und Eis befinden, was manchmal in extremen Nahaufnahmen dargestellt wird, einem charakteristischen Stilmittel meiner Arbeit.

«Diese Arbeit handelt von unseren Träumen und Sehnsüchten, die manchmal aber auch eine Utopie bleiben, im Feuer aufgehen, um dann zu etwas Neuem zu werden. Oft finden wir erst durch solche Erfahrungen unseren wahren Weg. Für mich ist ‘Burning Desires’ daher eine Arbeit, die für alle lesbar ist, weil sie unverfälscht ist.»
Johanna Hullár

Wie bist du an diese Arbeit herangegangen?
Kannst du uns mehr über deinen Prozess erzählen?
Was war im Verlauf der Umsetzung wichtig?

Meiner Erfahrung nach verläuft die kreative künstlerische Arbeit in mehreren Phasen. Am Anfang passiert vielleicht nichts oder wenig visuell. Plötzlich ist die Idee da, dann muss ich sie sofort umsetzen. Oft geht es sehr schnell, von der Idee bis zum ersten Bildentwurf dauert es vielleicht eine Stunde. Dann kommt der Reifeprozess. Die Szenen werden neu aufgebaut, immer und immer wieder. Manchmal muss man sich zwingen, zum Beispiel wenn ein Bild noch fehlt. Aber meistens ist es so, dass genau dann nichts entsteht. Am nächsten Tag entsteht das Bild ganz spontan. Meine Bilder sind nicht geplant in dem Sinne, wo was hinkommt. Es passiert immer intuitiv, spontan, am Set. ‘Burning Desires› ist komplett im Freien entstanden, mit Spiegel als Lichtreflexe. Ich arbeite immer mit einem Team zusammen, habe Set-Stylisten, technische Assistenten oder Freunde und Familie an meiner Seite, die mich unterstützen. Das ist essentiell. Selbst wenn es nur darum geht, den Eisblock zu transportieren, der noch im Gefrierschrank liegt und schnell zum Set gelangen muss.

Wie war es, mit dem GFX-System zu arbeiten?
Wie hat die Kamera dich unterstützt?
Gab es irgendwelche Herausforderungen?

Das Interessante am GFX-System ist, dass Foto und Video mit demselben Auslöser beginnen. Das war für mich anfangs sehr verwirrend bzw. gewöhnungsbedürftig. Da der Autofokus mit demselben Auslöser erfolgt, habe ich zunächst bestimmte Situationen verpasst. Ich wünschte, ich hätte eine Rec-Taste. (lacht) Davon abgesehen bin ich unglaublich begeistert. Ich habe bereits mit der GFX100 gearbeitet, und die GFX100S ist definitiv eine Steigerung. Sie ist superschnell, der Autofokus ist wie geschaffen für Stills und die Bildqualität ist enorm. Am Anfang wollte ich daher nur Close-ups zeigen, so gewaltig ist die Auflösung. Für grossformatige Abzüge oder Bildschirme das Muss schlechthin.

Was bedeutet für dich der weibliche Blick?
Existiert deiner Meinung nach ein geschlechtsspezifischer Blick?
Ist dieser relevant?

Es gibt mehr und mehr weibliche Fotografinnen, aber die Branche ist immer noch von Männern geprägt. Ich würde sagen, das Verhältnis ist 80:20. Fotografie ist naturgemäss eine sehr körperliche Arbeit, dazu kommt das nötige technische Know-how. Ich selbst habe dank meiner Ausbildung zur Fotografin ein sehr fundiertes technisches Verständnis. Aber vielleicht bin ich auch ein bisschen ein Nerd. Umso wichtiger finde ich es, dass es Plattformen wie Female Views gibt, die uns Fotografinnen die Möglichkeit geben, ganz frei ein grösseres, eigenes Projekt zu entwickeln und durch unsere Bildsprache sichtbar zu werden. Denn wenn es darauf ankommt, sind es immer noch meist die männlichen Kollegen, die gebucht werden, vor allem für grössere Aufträge.

Was müsste sich ändern, damit das Geschlecht in der Fotografie keine Rolle mehr spielt?

Einerseits müssten Frauen mehr Selbstvertrauen haben und auch mehr von dem einfordern, was sie wollen. Letztlich spielt das Geschlecht keine Rolle. Was in der Branche zählt, ist Durchhaltevermögen und verdammt viel Disziplin. Das ist nicht nur in der Fotografie so, sondern generell in der Kreativbranche. Wir Frauen wollen immer alles gut machen. Nein! Wir sollen nicht immer alles gut machen. Wir dürfen auch Visionen und Leidenschaften haben!

Werfen wir abschliessend einen Blick in die Zukunft: was ist deine Vision für die Fotografie von morgen?

Alles ist bereits fotografiert worden. Überall gibt es bereits eine Referenz oder ein Modell. Man kann diese Referenzen bewusst nehmen, sie zusammensetzen und neu konstruieren und interpretieren. Aber ich finde es heute oft sehr schwierig, visuell etwas Neues zu machen. In Bezug auf den Konsum des Visuellen würde ich mir wünschen, dass das Visuelle auf eine neue Art und Weise betrachtet und reflektiert wird. Hier kommt die Semiotik ins Spiel, die Botschaften, die wir als Fotograf:innen vermitteln. Wie kann ich Menschen dazu bringen, innezuhalten und sich etwas anzusehen? Das ist eine Frage, die wir uns in der Fotografie öfter stellen sollten. Das braucht vor allem eins: Zeit.

«Für den Konsum des Visuellen würde ich mir wünschen,
dass das Visuelle auf eine neue Art und Weise betrachtet und reflektiert wird. Hier kommt die Semiotik ins Spiel, die Botschaften, die wir als Fotograf:innen vermitteln. Wie kann ich Menschen dazu bringen, innezuhalten und sich etwas anzusehen?
Das ist eine Frage, die wir uns in der Fotografie öfter stellen sollten.»
Johanna Hullár

Credits

Konzept und Fotografie:
Johanna Hullár

Assistent:innen
Csilla Varga
Dominik Meier
Christopher Kuhn
Flavio Leone

Mit Unterstützung von
Atelier Narrato
Andrea Lucia Brun

Ein Projekt von
FUJIFILM Switzerland

FEMALE VIEWS ist ein von FUJIFILM Switzerland initiiertes Carte Blanche-Programm, das darauf abzielt, die Sichtbarkeit von Schweizer Fotografinnen und Fotokünstlerinnen weiter zu fördern. Nach Mirjam Kluka (2020), Sabina Bösch (2020), Lauretta Suter (2021) und Jacqueline Lipp (2022) lanciert FUJIFILM Switzerland mit der Fotokünstlerin Johanna Hullár im Sommer 2022 die fünfte Edition.

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