13.07.21 zurück

Im Gespräch mit Schweizer Fotokünstler Hannes Schmid

Kaum eine Figur dürfte den amerikanischen Mythos von Abenteuer und Freiheit so sehr geprägt haben wie der Marlboro Man, dieser wildromantische, rauchende Cowboy, den Hannes Schmid in den 90er bis 00er Jahren für den Tabakkonzern Philip Morris erschuf. Bereits in den Achtzigern machte sich der gebürtige Schweizer als Reporter und Fotograf von Rocklegenden wie ABBA, Queen, Kraftwerk, Nina Hagen oder Depeche Mode international einen Namen. Aufgefallen sind seine Bilder aber nicht nur aufgrund seiner Motive, sondern unter anderem wegen der ungewöhnlichen Inszenierungen – Bilder, die eindeutig arrangiert sein mussten, aber dennoch wie Reportage-Bilder wirkten. Heute ist Hannes Schmid vor allem mit seiner Concerned Photography und als Hoffnungsträger aktiv. 2012 gründete er das humanitäre Hilfswerk «Smiling Gecko», das zum Ziel hat, den Ärmsten in Kambodscha mit ökonomischen und ökologischen Clusterprojekten zu einer besseren Zukunft zu verhelfen. Wir sprachen mit dem Fotografen über Mythen, Inszenierungen und sein Lebenswerk.
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Hannes, bevor wir einen Rückblick auf dein fotografisches Schaffen werfen, ein Blick in die Gegenwart. Du bist aktuell in Kambodscha. Wie geht es dir?

Gut ist übertrieben, es gibt viel zu tun mit meinem Team. Es gibt keine Ressourcen, keine medizinische Versorgung, keine Infrastruktur, eine durch die Pandemie zusätzlich verschärfte Arbeitslosigkeit und eine gravierende Hungersnot. Wir sind innert kürzester Zeit von einem kleinen Hilfsprojekt zu einer humanitären NGO geworden. Neben der Fotografie ist das mein Lebensinhalt. Die Concerned Photography dient mir heute primär, um gesellschaftliche Probleme zu dokumentieren und sichtbar zu machen.

Deine Aufnahmen des Marlboro Man (eine in den 90er bis 00er Jahren für den Tabakkonzern Philip Morris fotografierte Kampagne) war ein Phänomen, eine moderne Ikone, die die Sehnsucht des Publikums nach Freiheit und Abenteuer beflügelte. Weshalb glaubst du, waren die Leute derart fasziniert davon?

Im Grunde ist es simpel: Die Menschen setzten das Bild des Marlboro Man automatisch mit dem amerikanischen Traum von Freiheit, von Abenteuer und Unabhängigkeit in Verbindung. Dieser werbewirksame Stereotyp, der zum Mythos, zur Kultfigur geworden ist, kam bei Männern und Frauen im pflichtbewussten Alltag der 1950er und 1960er Jahre bis in die Neunziger gut an – er schuf eine Identifikationsfigur. Spannend war ja, dass man bei den Aufnahmen nicht wusste, ob die Bilder inszeniert oder tatsächlich echt waren.

Wäre dieser Erfolg heute wiederholbar?

Ich denke nicht, es war eine andere Zeit. Heute ist jeder, der ein Smartphone besitzt, automatisch Fotograf. Der Bezug zum Bild hat sich komplett verändert. Ich denke, der einzige Ort, an dem das Bild heutzutage noch eine Bedeutung hat, ist die Kunst. Ironischerweise hatte die Kunst die Fotografie zu Beginn ja «entsorgt» – wir wurden aus allen grossen Kunsthäuser verbannt. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde die Fotografie als eigenes ästhetisches Kunstmittel anerkannt und zur neuen Kunstform erkoren.

Inwiefern haben deine früheren Bilder des Marlboro-Man und der Rockstars deine eigene Haltung und dein fotografisches Schaffen verändert?

Was ich heute bin, bin ich aufgrund der Fotografie von damals. Eine ganze Generation war damals vom Aufbruch beflügelt. Das faszinierte mich, und prägt mich bis heute. Mich interessierte nicht die Musik, nicht die Mode, sondern die Menschen, die Geschichten dahinter. Diese Herangehensweise ist bis heute geblieben.

Wie erfindet man Bilder, die so einprägsam sind, dass sie in unser kollektives Gedächtnis eingehen?

Machen! In dieser Zeit stellte ich fest, dass man ein Bild, um es machen zu können, leben muss. Daher stand für mich immer das Erlebnis im Mittelpunkt, und nicht etwa, wie ein Bild am Ende wird. Ich bin ein Praktiker, und lebe das bis heute exzessiv. Ich kenne kaum noch Fotograf*innen, die das auf diese Art und Weise praktizieren. Vielleicht war ich aber auch einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Du sagst, heute ist das anders. Gibt es ein Erfolgsrezept, das du jungen Fotografinnen und Fotografen auf ihrem Weg mitgeben könntest?

Generell grenze ich mich stark ab von der analogen Fotografie zur Digigraphie. Fotografie ist ein Film, ein chemischer Prozess. Der Film hat eine Emulsionsnummer, es gibt nur eine begrenzte Anzahl dieses Filmes. Das bedeutet, der Film ist limitiert in der Menge und in Farbe, die er wiedergeben kann. Und letztlich hat der Film ein Korn – das macht ihn zum Unikat. Bei der Digigraphie hingegen gibt es nahezu keine Grenzen, weder in der Belichtung, noch in den Farben. Hier sind die Pixel die Elemente des digitalen Films, und das Bild wird am Ende via Photoshop oder anderen digitalen Programmen bearbeitet. Jedem jungen Fotografen und jeder jungen Fotografin kann ich nur empfehlen, zurückzugehen, analog mit einem Film zu fotografieren. Nicht, dass nur noch analog fotografiert werden soll, sondern einfach, um einen anderen Bezug zum Bild herzustellen.

Kannst du über ein aktuelles Fotoprojekt erzählen?

2019 startete ich das Fotoprojekt über Menschen, die in einem Müll-Slum in Kambodscha leben. Es sind Tausende, und vor allem Kinder. Für mehrere Monate bewegte ich mich in diesem Müll-Slum. Was ich sah und fotografierte, war schockierend. Und darüber brachte ich ein Buch heraus: «Hannes Schmid – a forgotten world remembered.» – zu Deutsch: Erinnerungen an eine vergessene Welt.

Bald zehn Jahre ist her, als du in Kambodscha das humanitäre Hilfsprojekt Smiling Gecko ins Leben gerufen hast. Dein Lebenswerk?

Wie immer man es nennt: Es geht mir primär um die Zukunft dieser Menschen. Die Hauptkomponente spielt die Bildung, vom Kleinkind bis zum Erwachsenen, um die nächsten Generationen nachhaltig zu Fachkräften und Unternehmer*innen auszubilden. Nur so kann die 3. Welt verändert werden. Mit unserer humanitären Nichtregierungsorganisation (NGO) «Smiling Gecko» setzen wir genau hier an. Von Smiling Gecko leben aktuell bereits über 10’000 Menschen, und es sollen noch mehr werden. Das erfordert Investoren, die langfristig denken. All das kam nur durch die Fotografie, durch das Leben, das ich hinter den Bildern über Jahrzehnte hinweg begleitet und dokumentiert habe.

Welchen Beitrag können Fotografinnen und Fotografen leisten, um eine bessere Zukunft zu gestalten?

Ein Bild alleine, und mag es noch so stark sein, besitzt in der heutigen Bilderflut nicht mehr die Kraft, eine Veränderung, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen. Doch ich denke, am Ende können wir alle zu einer besseren Zukunft beitragen. Dazu müssen wir aber nicht nur darüber sprechen, sondern etwas tun und uns engagieren. Das bedeutet letztlich auch, auf etwas zu verzichten.

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