24.08.21 zurück

Bilder, die die Welt einfangen: Gespräch mit World Press Photo Kuratorin Marika Cukrowski

Die World Press Photo Exhibition gilt als eines der wichtigsten Ereignisse im Fotojournalismus. Seit 1955 werden im Rahmen des «World Press Photo»-Contests professionelle Fotografen für die besten Bilder ausgezeichnet. Vom 26. August bis 3. Oktober 2021 zeigt das IPFO Haus der Fotografie in Olten die Gewinner des World Press Photo Contest 2021 exklusiv in der Deutschschweiz und bildet damit den Auftakt der Wanderausstellung. In einem beispiellosen Jahr, das von der Pandemie und Protesten für soziale Gerechtigkeit rund um den Globus geprägt war, fangen die diesjährigen Gewinnerbilder die vielen Facetten der Welt ein, in der wir leben, und regt damit zu einer sorgfältigen Reflexion über unsere zeitgenössische Realität an. Wir sprachen mit der World Press Photo 2021 Kuratorin Marika Cukrowski über die Ausstellung, den Fotojournalismus von morgen und die Macht der Bilder.
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Marika, als Kuratorin der World Press Photo 2021 zeichnest du eine der wichtigsten Fotojournalismus-Ausstellungen der Welt mit. Kannst du uns zunächst erzählen, wie du zur Fotografie gekommen bist?

 Mein Interesse an der Fotografie entstand durch meine Arbeit mit Journalisten, bei der ich schnell die Bedeutung eines starken Bildes erkannte. In der heutigen Gesellschaft, in der wir ständig in Bewegung sind, hat ein einziges Bild die Macht, eine Botschaft sofort zu vermitteln und große Aufmerksamkeit zu erregen. Visuelles Storytelling schien eine perfekte Kombination meiner Interessen und Erfahrungen zu sein, und bei World Press Photo hatte ich das Privileg, mit einigen bemerkenswerten Bildern und Geschichten zu arbeiten.

Die World Press Photo Exhibition 2021 feiert im Rahmen des International Photo Festival in Olten seine Eröffnung. Wie entstand die Idee, mit dem IPFO zusammenzuarbeiten?

Es ist absolut wunderbar, die World Press Photo-Ausstellung beim International Photo Festival Olten zu haben! Die IFPO bringt so viele kreative und talentierte Einzelpersonen und Gruppen aus der Welt der Fotografie zusammen und bietet eine reichhaltige Plattform für Diskussionen, was nach einem Jahr des Lockdowns besonders wichtig ist und nicht zuletzt die Gelegenheit bietet, gemeinsam einige der Herausforderungen in der Welt der Fotografie zu diskutieren, wie z.B. die Vielfalt, bei der es noch viel zu tun gibt.

Eine Umarmung in der Pandemie: Das zeigt das World Press Photo 2021 mit dem Titel «The First Embrace» des dänischen Fotografen Mads Nissen. Das Foto, das von der Jury des Fotowettbewerbs 2021 zum Foto des Jahres gewählt wurde, zeigt Rosa Luzia Lunardi (85), die während der Pandemie von der Krankenschwester Adriana Silva da Costa Souza im Pflegeheim Viva Bem in São Paulo, Brasilien, umarmt wird.

Was sind die zentralen Themen der diesjährigen Ausstellung?

Es gibt drei Hauptthemen, die sich in der Ausstellung 2021 abzeichnen. Das erste ist die Welle der Bewegungen für soziale Rechte, insbesondere der BLM, die nach der Ermordung von George Floyd in den Vereinigten Staaten weltweit ausgebrochen ist. Das zweite ist die Klimakrise und ihre Auswirkungen auf die Umwelt, die leider seit einigen Jahren ein immer wiederkehrendes Thema ist. Und schliesslich ist es nicht verwunderlich, dass das beherrschende Thema der Ausstellung die COVID-19-Pandemie ist. Die Wettbewerbsjury hat Bilder ausgewählt, die die Realität der Krise zeigen, aber auch Geschichten von Mut und Widerstandskraft.

Wie wurden die Werke der 45 Fotografien und Fotografinnen ausgewählt? Welche Kriterien waren für dich als Kuratorin entscheidend?

Jedes Jahr ernennt World Press Photo eine unabhängige Jury aus Fotograf:innen und Expert:innen, die die Gewinnerbilder des Wettbewerbs auswählt. Alle Beiträge werden anonym bewertet. Beim diesjährigen Wettbewerb hatte die Jury die schwierige Aufgabe, 74’470 Bilder zu sichten, die von 4315 Fotografen aus der ganzen Welt eingereicht wurden. Zum ersten Mal fand die Bewertung zudem online statt. Die Entscheidung über die Bilder liegt bei der Jury, aber die Besucherinnen und Besucher werden feststellen, dass die Ausstellung oft fesselnde Bilder enthält, die die wichtigsten Ereignisse des Jahres widerspiegeln, aber auch die Geschichten hervorheben, die zwar keine Schlagzeilen gemacht haben, aber nicht weniger wichtig waren.

California sea lion (Zalophus californianus) playing wiht KN95 mask in Monterey, CA.

Die Ausstellung ist in diverse Formate unterteilt, darunter den «World Press Photo Contest», bei dem seit 1955 die besten Bilder des Jahres von professionellen Fotograf:innen ausgezeichnet werden. Kannst du uns zwei exemplarische Werke nennen?

Das Foto des Jahres 2021 mit dem Titel The First Embrace (Die erste Umarmung) stammt von dem dänischen Fotografen Mads Nissen, das auf überwältigende Weise eine Botschaft der Hoffnung vermittelt. Nach einem Jahr mit so zahlreichen tragischen Bildern, die die Pandemie zeigen, finde ich dieses Bild sehr aussagekräftig und eines, mit dem wir uns alle identifizieren können. Visuell ist es sehr eindrucksvoll und voller Emotionen, und der Umriss von Engelsflügeln, der durch die gelben Ärmel gebildet wird, ist besonders einprägsam. 

Antonio Faccilongo aus Italien gewann den Preis für die Geschichte des Jahres 2021. Die Geschichte Habibi ist ein Langzeitprojekt – sie wurde ab 2015 fotografiert – und umfasst 30 Bilder. Das Projekt ist ein schönes Beispiel dafür, wie wirkungsvoll langsamer Journalismus sein kann, der es den Betrachtenden ermöglicht, in die Entwicklung einer Geschichte über einen langen Zeitraum hinweg einzutauchen.

Zu welchen Schlussfolgerungen kann die Ausstellung World Press Photo bestenfalls kommen?

Die Aufgabe von World Press Photo ist es, die Welt mit den Geschichten zu verbinden, die wichtig sind. Mit unseren Ausstellungen arbeiten wir darauf hin, diese Mission zu erfüllen, und zwar auf eine direkte Art und Weise. Jedes Jahr reist die Ausstellung in Städte auf der ganzen Welt: 2019 waren es 120 Standorte, aufgrund der Pandemie wurde diese Zahl 2020 halbiert. Glücklicherweise können wir sagen, dass 2021 immer mehr Ausstellungen stattfinden werden. Um ein möglichst grosses Publikum anzusprechen, bieten wir die Ausstellung in verschiedenen Formaten an, darunter auch eines für den Aussenbereich, das sich während der Pandemie als sehr beliebt erwiesen hat. Wir bieten ein kostenloses Online-Lehrmittel namens See the Story an, das die Bilder der Ausstellung mit umfassenderen Konzepten der Fotografie und des Journalismus wie Ethik oder Repräsentation verbindet. Das Dokument kann auf unserer Website heruntergeladen werden.

Die Jury des Fotowettbewerbs wählte Habibi von Antonio Faccilongo zur World Press Photo Story of the Year 2021. Habibi, was auf Arabisch «meine Liebe“ bedeutet, erzählt Liebesgeschichten vor dem Hintergrund eines der längsten und kompliziertesten Konflikte der modernen Geschichte. Der Fotograf Antonio Faccilongo möchte die Auswirkungen des Konflikts auf palästinensische Familien und die Schwierigkeiten aufzeigen, mit denen sie bei der Wahrung ihrer reproduktiven Rechte und ihrer Menschenwürde konfrontiert sind. 

Warum ist es gerade in diesen aussergewöhnlichen Zeiten wichtig, sich mit der Vermittlung und Ausstellung von Fotografie zu beschäftigen?

Ich denke, der Wert der Ausstellung von Fotografie sollte nicht unterschätzt werden. Da wir mit Bildern auf unseren Smartphones überschwemmt werden, ist es eine ganz andere und bereichernde Erfahrung, Fotos in einer Ausstellung zu betrachten. Als Besucherin und Besucher einer Ausstellung hat man die Möglichkeit, sich auf einer wesentlich tieferen Ebene mit dem Inhalt, mit der Geschichte hinter dem Foto zu beschäftigen. Auf diese Weise finden die Fotografien mehr Resonanz; vielleicht regen sie uns dazu an, kritische Fragen zu stellen oder mit anderen darüber zu diskutieren.

Was sind deiner Meinung nach die grössten Herausforderungen für die Fotografie von morgen? Wie gehst du als Kuratorin mit diesen um? 

Eine ständige Herausforderung in der Fotografie, insbesondere im Fotojournalismus, ist die Gewährleistung der Genauigkeit. Angesichts der Zunahme von Fake News und der damit verbundenen Bedrohung ist es von entscheidender Bedeutung, jegliche Manipulation von Bildern zu bekämpfen. World Press Photo hat ein strenges Prüfverfahren, bei dem alle Bilder in den Endrunden des Fotowettbewerbs einer forensischen Prüfung unterzogen werden, um sicherzustellen, dass die Bilder nicht manipuliert oder wesentlich verändert wurden. Auf diese Weise bemühen wir uns, die journalistische Integrität und das Recht auf korrekte und unparteiische Nachrichten aufrechtzuerhalten und letztlich Fotojournalist:innen bei ihrer kritischen und wichtigen Arbeit zu unterstützen.

Warum ist es heute wie in Zukunft wichtig, aktuelle Entwicklungen in der Welt zu kartieren?

Es gibt so viele Antworten auf diese Frage, aber ich denke, dass das Dokumentieren der Wahrheit die wichtigste ist. Im Laufe der Zeit haben wir gesehen, welche Macht die Fotografie haben kann, wenn es darum geht, verschiedene Themen zu dokumentieren: sie zu beleuchten, Massnahmen zu mobilisieren oder Menschen zur Verantwortung zu ziehen. Die diesjährige Ausstellung zeigt zum Beispiel viele Geschichten über die Pandemie, die auch von vielen Fehlinformationen überschattet wurde. Einige dieser Bilder sind erschütternd und anschaulich, aber sie enthalten so viel Wahrheit und Kraft, um falsche Behauptungen oder Fehlinformationen zurückzuweisen.

Welche Rolle können Ausstellungen in der Welt der Fotografie von morgen spielen?

Ich denke, dass Ausstellungen und Ausstellungshäuser eine einzigartige Möglichkeit für die Welt der Fotografie sind, Menschen zusammenzubringen. Erstens erhalten sie die Möglichkeit, qualitativ hochwertige visuelle Geschichten in gedruckter Form zu sehen, was sich zwangsläufig von der Betrachtung von Bildern auf einem Bildschirm unterscheidet. Dies führt dazu, dass die Menschen langsamer werden und Details wahrnehmen, die sie sonst vielleicht nicht bemerkt hätten. Die Geschichten in der Ausstellung regen zur Diskussion an und, so hoffe ich, zu Empathie und einem besseren Verständnis der Welt.

Der jährliche World Press Photo Award ist der weltweit grösste und international anerkannte Wettbewerb für Pressefotografie. Die Ausstellung hierzu wird im Haus für Fotografie in Olten eröffnet. Seit 1955 zeichnet der jährliche World Press Photo Award professionelle Fotografen für die besten Bilder aus, die zum vergangenen Jahr des visuellen Journalismus beitragen. In diesem Jahr haben 4.315 Fotografen aus 130 Ländern 74.470 Bilder zum Wettbewerb eingereicht. Die Gewinnerinnen und Gewinner sind 45 Fotograf:innen aus 28 Ländern. Die Jury des Fotowettbewerbs 2021 wählte das Foto The First Embrace von Mads Nissen zum World Press Photo of the Year und Habibi von Antonio Faccilongo zur World Press Photo Story of the Year.

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