Fotografisch gesehen bin ich nicht so sehr an der Landschaft selbst interessiert, sondern an den alternativen Lesarten, die man aus ihr machen kann. In gewisser Weise kann ich das Unsichtbare fotografieren, indem ich das Land als visuelle Metapher verwende, die andere Dinge aussagt, entweder mit einer feierlichen Absicht oder mit einer eher kritischen Haltung. Die letztere Herangehensweise ist in meiner Fotografie besonders relevant. Zahlreiche meiner Projekte befassen sich mit den Umweltauswirkungen, die wir Menschen auf diesem Planeten verursachen. Das natürliche Gleichgewicht ist gestört, und die Herausforderungen, denen sich die Menschen in Zukunft stellen müssen, sind davon stark betroffen.
Als ich das erste Mal eine Kamera in die Hand nahm, war ich nicht wirklich an der Fotografie an sich interessiert. Ich begann, die Fotografie als Mittel zu nutzen, um andere Interessensgebiete meines Lebens wie Reisen und Naturwissenschaften, insbesondere die Geologie, die Geschichte unseres Planeten, die zu einem häufigen Thema meiner ersten Fotografie wurde, zu dokumentieren und zu illustrieren. Vielleicht war ein Teil des Grundes auch, gemäss Susan Sontag: „Das Bedürfnis, die Realität zu bestätigen und die Erfahrung durch Fotos zu verstärken“.
Mein künstlerisches Schaffen ist von mehreren Schaffensphasen gezeichnet, die wiederum von verschiedenen visuellen Wendepunkten und Vorbildern geprägt wurden. So machte ich zu Beginn meiner fotografischen Reise hauptsächlich Bilder, die nach John Szarkowski Fenster waren, die sich aufmachten, „die Aussenwelt in ihrer ganzen Präsenz und Realität zu erforschen“. Während dieser fotografischen Phase waren meine wichtigsten fotografischen Vorbilder Praktiker wie Ansel Adams, Galen Rowel, Art Wolfe… Eine relevante Wende in meiner fotografischen Entwicklung ergab sich durch den Gewinn des Master Hasselblad Award. Ich musste ein Projekt zum Thema Wildlife in Angriff nehmen, das ausgestellt und in Form eines Buches veröffentlicht werden sollte. Ich konnte es allerdings nicht rechtfertigen, schöne Bilder von frei in der Wildnis umherstreifenden Tieren zu machen. So beschloss ich, mit diesem Fotoprojekt eine metaphorische Botschaft zu vermitteln, um das Umweltbewusstsein beim Publikum zu schärfen. Seitdem habe ich eine Reihe von Fotoprojekten umgesetzt, die sich mit Fragen der Umwelt befassen und damit, dass wir Menschen nur ein weiteres Teil des riesigen Naturpuzzles sind. Aus dieser Perspektive liebe ich die Arbeit von Praktikern wie Nick Brandt, Edward Burtynsky, David Maisel, Daniel Beltrá…

Im Laufe der Jahre hat sich die Ausdruckslast meiner Bilder vom Wörtlichen zum Metaphorischen verschoben. Ich fing an, mich der Fotografie so zu nähern, dass das Besondere ins Universelle transzendiert wurde. Ich erkannte, dass eines der universellen Konzepte, das in den meisten meiner Arbeiten auftauchte, die Idee von Zeit, Vergänglichkeit und Unbeständigkeit war. Welches Medium wäre da besser geeignet als die Fotografie? Roland Barthes sagt uns, dass die Fotografie der Ausdruck der Vergangenheit und der Sterblichkeit ist, da jede Fotografie von ihrem Gegenstand aussagt, dass dieser gewesen ist und deshalb nicht mehr ist. Ich sehe die Natur und die Landschaft im Allgemeinen als eine wunderbare Arena, um diese Konzepte zu erforschen.
Das noch laufende Projekt „Black Ice“ – ein visueller Schrei der Verzweiflung über die Situation unseres Planeten. Das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes ist zum perfekten Symbol für die sich beschleunigenden Störungen des natürlichen Gleichgewichts unseres Planeten geworden, grösstenteils ausgelöst durch menschliche Eingriffe.
Die Schichten der Eisberge sind komprimiert, türmen sich als undurchdringliche Barrieren auf. Die Eisberge werden nicht in ihrer Gesamtheit gezeigt, sondern angeschnitten, wirken unendlich und platzen aus dem Bild heraus. Die meisten der gewählten Kompositionen weisen dreieckige Züge, starke Vertikalität, Risse und plötzliche vertikale Klippen auf, die den horizontalen Fluss unterbrechen und beim Betrachter ein Gefühl von Schwindel erzeugen. Dazu werden lange Brennweiten verwendet, die die Tiefe neutralisieren. Andere Kompositionen haben eine „trümmerhafte“ Qualität und sehen aus, als wären sie die verbliebenen Ruinen von etwas, das nicht mehr ist. .. Viele der Bilder weisen eine visuelle Spannung auf, indem sie gegensätzliche visuelle Gestaltungen nebeneinander stellen: dreieckige Eisberge werden abgerundeten und polierten gegenübergestellt; ausgedehnte schwarze Bereiche werden grossen hellen Flächen gegenübergestellt.
All diese Entscheidungen vermitteln ein Gefühl von Bedrohung und Instabilität. Auch wenn die Kompositionen „geordnet“ und ausgewogen sind, haben wir das Gefühl, dass ein Zusammenbruch unausweichlich scheint.
Ich sehe auch einen Paradigmenwechsel bei dem, was als Landschaft angesehen wird. In der Vergangenheit, meist beeinflusst von der westamerikanischen Tradition der grossen Landschaft, haben sich die meisten Praktiker auf die verherrlichte Wildnis und die unberührte Natur konzentriert. Heutzutage ist es jedoch schwierig, den Elefanten im Raum länger zu ignorieren. Themen wie globale Erwärmung, Überbevölkerung, Abholzung, Überkonsum und Verschmutzung haben die Landschaft um uns herum völlig verändert. Wir müssen diese Veränderungen anerkennen und unsere Fotografie nutzen, um nicht nur zu zeigen, was wir mögen, sondern auch, was wir nicht mögen. Als Fotografen haben wir ein sehr mächtiges Werkzeug, um diese Themen anzugehen, entweder aus einer dokumentarischen oder einer künstlerischen Perspektive, um das öffentliche Bewusstsein zu schärfen, oder zumindest für eine Sache zu sterben, an die wir glauben.
Jetzt, wo die technischen Grenzen in der Fotografie praktisch verschwunden sind – wer hätte sich noch vor drei Jahren träumen lassen, mitten in der Nacht eine Mittelformatkamera zu benutzen? – und uns die beste Technologie, das beste Motiv und die besten Vertriebskanäle zur Verfügung stehen, bleibt für uns Fotografen nur noch das, was wirklich wichtig ist: Was haben wir zu sagen? Wie können wir es durch Bilder auf eine Weise sagen, die unsere eigene ist und die andere Menschen berühren kann?

Für Landschaftsfotografen liegt die Herausforderung darin, die Suche nach dem immer beeindruckenderen Ort, dem aussergewöhnlichen Licht oder der Zurschaustellung technischer Fertigkeiten aufzugeben und sich darauf zu konzentrieren, mehr zu sehen, mehr zu denken und mehr zu sagen. An einem Projekt zu arbeiten, das etwas kommuniziert, und den gesamten fotografischen Prozess auf diese Botschaft und Absicht in einer kohärenten Weise auszurichten, ist für mich die eigentliche Herausforderung und Verantwortung als Künstler.
Es wird ein Projekt sein, das sich auf metaphorische Weise mit der Landschaft auseinandersetzt, um ein Konzept zu erforschen, das ich schon immer faszinierend fand… Die Idee bei dieser Bildserie, die originell, überraschend, visuell stark und geheimnisvoll sein soll, ist, dem Betrachter die unsichtbare Realität des Waldes zu offenbaren. Eine Realität, die, wenn sie einmal verstanden ist, die Art und Weise verändern könnte, wie wir diese Umgebungen jedes Mal wahrnehmen, wenn wir durch die Wälder wandern. Wie viele meiner Projekte wird sich auch dieses um die Anwesenheit der Abwesenheit drehen, um die Spuren, die hinterlassen werden…

Jedes Jahr lädt die CARTE BLANCHE BY FUJIFILM SWITZERLAND ausgewählte Schweizer Fotografinnen und Fotokünstlerinnen, die mit dem Medium Fotografie arbeiten, dazu ein, eine Arbeit zu einem bestimmten Genre der Fotografie umzusetzen. 2021 sind dies drei Schweizer Fotografen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Beziehung zwischen Landschaft(en), unseren natürlichen Umgebungen und der Welt der Fotografie und Kunst unter dem Titel THE UNSEEN widmen.
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